Ukraine: Keine Hoffnung auf Reformen

VortrHeinz+HHVierzig interessierte Gäste waren gespannt, was Hans Christian Heinz von der Nationalen Ivan Franko-Universität in Lemberg/Lviv von den aktuellen Entwicklungen in der Ukraine berichten konnte. Eingeladen hatte die Lippische Gesellschaft für Politik und Zeitgeschichte. Vorsitzender Hermann Haack erinnerte an die Themenreise des vergangenen Jahres nach Lemberg – trotz des Krieges in der Ukraine. Natürlich habe man sich vor Ort ein viel differenzierteres Bild von Land und Leuten machen können als es aus der Distanz möglich gewesen wäre. Nicht zuletzt Hans Christian Heinz habe als Reiseleiter mit seinem profunden Wissen und den von ihm organisierten Begegnungen viele vertiefende Anregungen gegeben. „Schließlich hat der Ukraine-Konflikt für den Frieden in Europa eine enorme Bedeutung“, betonte Hermann Haack.

In seinem Vortrag stellte Hans Christian Heinz zunächst die langen historischen Entwicklungslinien heraus, die zur Bildung verschiedener ethnischer und schließlich nationaler ukrainischer Identitäten geführt haben. Dabei gab es ausgeprägte Verbindungen in die mitteleuropäischen Herrschaftsbereiche, die immer auch die Traditionen der jeweiligen Volksgruppen prägten. Im geographischen Raum der heutigen Ukraine lebten die verschiedenen ethnischen Gruppen nicht selten in sich verändernden Machtkonstellationen – oft, aber nicht immer friedlich miteinander. Hans Christian Heinz konnte deutlich machen, dass man diese historischen Bezüge  auch heute bei der Frage der EU- oder Russland-Orientierung berücksichtigen müsse.

In der aktuellen Situation gebe es inzwischen bei kaum jemandem die Hoffnung auf eine Verbesserung der eigenen Lebenssituation. Die Hoffnungen, auch der letzten Maidan-Revolution, seien tief enttäuscht worden. Nach wie vor beherrschten die alten Machteliten, vor allem die Oligarchen, das Land nach ihren Interessen in einem zutiefst korrupten System. Der Staat würde schwach und von privaten Interessen abhängig gehalten. Hans Christian Heinz hält es nicht für unmöglich, dass sich diese Enttäuschung demnächst auch gewaltsam entladen könnte. Jedenfalls glaubten weite Teile der Bevölkerung nicht an Reformen, die sich parlamentarisch entwickelten. Auch in der Politik des Lemberger Bürgermeisters und seiner Partei „Selbsthilfe“ – inzwischen dritte Kraft im Lande – sehe er keine Alternative.

Diese etwas deprimierende Beschreibung der politischen Entwicklungen führte Hans Christian Heinz auch zu der Empfehlung an deutsch-ukrainische Partnerschaftsprojekte, offizielle staatliche Kontakte eher zu meiden und sich in erster Linie auf die Partner vor Ort zu verlassen. In die direkten Kontakten zwischen den Menschen beider Länder setze er allerdings große Hoffnungen zur Annäherung an europäische Grundsätze. Sehr positiv hob Hans Christian Heinz das Schulsystem der Ukraine hervor. Es sei konsequent auf Leistungsanreize orientiert und ermögliche eine breit angelegte Ausbildung. Fordern und Fördern seien die erfolgreichen Prinzipien.

VortrHeinzAlleBei den Gästen im Cafe Vielfalt verfestigte sich der Eindruck, dass es in der Ukraine noch ein sehr weiter Weg sei bis zu einer friedlichen und sozialen Entwicklung, die dann auch zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse in der breiten Bevölkerung führe.

In der Mitgliederversammlung der Lippischen Gesellschaft für Politik und Zeitgeschichte, die dem Ukraine-Vortrag vorausging, wurde die diesjährige Themenfahrt nach Südfrankreich vorgestellt. „Wir besuchen die Region rund um Marseille und betreten durch Schicksal geprägte Räume“, sagte Vorsitzender Hermann Haack. In der Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Künstler und Intellektuelle ins Ausland fliehen. Eine Station auf ihrer Flucht war für viele Südfrankreich. „Wir suchen ihre Spuren und Sie sind dazu eingeladen. Noch sind einige Mitfahrplätze frei“, erklärte Hermann Haack.

 

 

 

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