Albrecht Pallas (SPD), Landtagsabgeordneter aus Dresden

Im Oktober besuchte eine Reisegruppe der LGPZ die Städte Bautzen, Dresden und Görlitz. (Reiseeindrücke hier) Im Herbert-Wehner-Haus in Dresden wurde dabei mit engagierten Mitgliedern der Initiative „Nazifrei“ und mit dem sächsischen Landtagsabgeordneten Albrecht Pallas (SPD) diskutiert. In einem Interview beantwortet Albrecht Pallas im Anschluss daran Fragen von Rolf Eickmeier.

RE: Lieber Albrecht Pallas, wir haben uns vor kurzem auf der Studienfahrt der Lippischen Gesellschaft für Politik und Zeitgeschichte in Dresden kennengelernt. Sie sind Landtagsabgeordneter für die SPD. Auch Sie unterstützen das Bündnis „Dresden Nazifrei“ mit den Aktionen gegen die Pegida-AfD-Aufmärsche, die es in Dresden weiter regelmäßig gibt. Dennoch hat die AfD zum Beispiel bei den Kommunalwahlen 2019 bis zu 30 Prozent der Stimmen geholt – auch bei der Landtagswahl im letzten Jahr 27,5 Prozent. Wir können uns das nicht erklären. Können Sie uns helfen?

AP: Positiv festzuhalten ist ja erstmal, dass auch hier rechtes Gedankentum politisch keine Mehrheiten hat. Das übersieht man gern mal. Dieser Befund darf uns aber nicht beruhigen. Rechte Ansichten sind in Ostdeutschland und auch in Sachsen überproportional in verschiedenen Bevölkerungsgruppen vorhanden. Die Ursachen sind vielfältig. Auch vor der friedlichen Revolution gab es hier Nazis. Die „durfte“ es aber nicht geben, da die DDR ja entnazifiziert war. Also wurde es unter der Decke gehalten. Das erlebten wir leider durch die sächsische CDU und ihre Ministerpräsidenten bis weit in die Nuller Jahre hinein auch, die Sachsen bescheinigten, „immun gegen rechts“ zu sein. Die sozialen Probleme in Ostdeutschland – viele Geringverdiener, das Gefühl Verlierer der Wiedervereinigung zu sein usw. – haben dann noch weitere Gruppen für rechtes Denken anfällig gemacht. Gepaart mit einer tiefen Unerfahrenheit mit der freiheitlichen Demokratie verbanden sich schnell organisierte und Neurechte mit „besorgten Bürgern“, die auf dem rechten Auge blind sind. Das führte zum ersten Erfolg von Pegida und den hohen Wahlergebnissen der AfD in Sachsen. 

Zum Glück haben wir hier – vor allem junge, Menschen -, die sich gegen Rechts engagieren. Bestimmte Teile der Gesellschaft, Teile des Bürgertums erreichen wir bis heute einfach nicht , sich mit den anderen Demokratinnen und Demokraten gegen Pegida und Co. zu stellen. Hier lassen wir aber nicht locker und engagieren uns weiter für Demokratie – Woche für Woche, auf der Straße, am Arbeitsplatz, in den Vereinen und auf der politischen Bühne.

RE: Da wir uns nicht vorstellen können, dass fast ein Drittel der Menschen in Sachsen die Politik der AfD überzeugend findet und nicht die Folgen einer solchen Politik bedenkt, die Frage: Gibt es Möglichkeiten, Wählerinnen und Wähler zu weltoffenen demokratischen Parteien zurückzuholen?

AP: Neuesten Studien zur Folge haben in Ostdeutschland zur Zeit ungefähr 9 Prozent der Menschen ein geschlossenes rechtes Weltbild. Die Differenz zum Wahlergebnis der AfD sind eine Gruppe, mit der wir uns beschäftigen müssen. Aus unterschiedlichen Gründen fühlen sich diese Menschen aktuell oder schon länger von den relevanten demokratischen Parteien nicht mehr vertreten. Um das zu ändern, kommt sowohl der Politik, aber auch den Wählerinnen und Wählern eine Verantwortung zu. Als Politik, gerade als SPD, haben wir die Aufgabe, dass das Leben in allen Teilen des Landes gleichwertig sein muss. Ländliche Räume dürfen nicht abgehängt werden. Das Leben in den Großstädten muss gerade für Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen erschwinglich bleiben.

Wir müssen dafür sorgen, dass Ostdeutschland nicht die Melkkuh einiger Unternehmen ist, die hier erwirtschaftete Gewinne aus dem Land ziehen, um Aktionärsinteressen zu befriedigen. Die Beschäftigten haben ein Anrecht darauf, ordentlich bezahlt zu werden und in Zukunft auskömmliche Renten zu erhalten.

Was ich von den Sächsinnen und Sachsen erwarte, ist mehr Eigenverantwortung für das eigene Schicksal. Der Staat kann nicht jedes Problem lösen und muss er auch nicht. Jeder kann gerade in seinem Umfeld mehr bewirken als die meisten glauben. So müssen die Beschäftigten gemeinsam mit den Gewerkschaften mutiger als in den letzten 30 Jahren für bessere Löhne kämpfen. Dass es in den letzten Monaten gerade im Bereich der Nahrungs- und Genussmittelindustrie erste Tariferfolge gab, ist eine ermutigende Entwicklung.

RE: Gibt es Möglichkeiten und Initiativen, in Schulen und außerschulischen Einrichtungen die Demokratiebildung zu verstärken und eine größere Immunität bei jungen Menschen gegen nationalistische und autoritäre Strömungen zu entwickeln? 

AP: In die demokratische Bildung in Schulen wird bereits heute viel investiert. Aber wir dürfen uns da nichts vormachen. Das sind, wenn man es so will, Investitionen in die Zukunft. Wir werden hoffentlich in 20-30 Jahren die Früchte ernten, die wir heute säen. Das klingt lange, aber wir werden damit leben müssen, dass wir nicht jeden älteren Sachsen überzeugt bekommen, dass Demokratie die beste Form des gemeinschaftlichen Zusammenlebens ist. Insofern setze ich große Hoffnung in unsere Kinder. Wir dürfen nur nicht nachlassen, für Demokratie und all ihre Werte zu kämpfen.

Gleichwohl dürfen wir nicht nachlassen und müssen im Bereich der Erwachsenenbildung immer weiter versuchen, diese Menschen zu erreichen. Unsere vorbildlichen Bildungsträger wie die Friedrich-Ebert-Stiftung oder das Herbert-Wehner-Bildungswerk (für Kommunalpolitik) arbeiten unermüdlich dafür, demokratieferne Menschen zu erreichen und sie wieder zu gewinnen. Dafür bekommen sie von uns, aber auch vom Staat durch Fördermittel Unterstützung. Das „Wehnerwerk“ kann übrigens auch von Privatpersonen unterstützt werden – durch eine Mitgliedschaft im Freundeskreis Herbert-Wehner-Bildungswerk, dessen Vorsitzender ich sein darf.

RE: Auf Landesebene in Sachsen ist die SPD mit in der Regierungskoalition, allerdings als eher kleiner Partner zusammen mit GRÜNEN und der CDU. Gibt es politische Maßnahmen der Regierung, bei denen die sozialdemokratische Handschrift erkennbar ist?

AP: Als sächsische SPD stehen wir vor der großen Aufgabe, uns aus diesem historischen Tief herauszuholen. Dafür müssen wir den Menschen in Sachsen jederzeit deutlich machen, warum sie die soziale Demokratie brauchen. 
Wir sind es, die sich für eine Arbeitswelt einsetzen, in der die Leute für eine sinnstiftende Tätigkeit einen vernünftigen Lohn bekommen, in der jeder eine neue Chance auf Aufstieg bekommt. Die Leute hatten zu lange den Eindruck, dass es eher nach unten geht. Daran hatten auch die Hartz-Reformen ihren Anteil. Wir zeigen den Sachsen die Treppe nach oben – mit einem sozialen Arbeitsmarkt, intensiven Beratungen für Familien im Sozialleistungsbezug, aber auch dem Kampf Seit an Seit mit den Gewerkschaften für bessere Löhne, z.B. durch einen Vergabemindestlohn oder den Kampf zum Erhalt von Industriestandorten in Sachsen. 

Wir sind es auch, die sich um den Zusammenhalt in unserer immer komplexer werdenden Gesellschaft kümmern. Unser Land scheint wieder in Klassen zu zerfallen. Das obere Drittel wird immer reicher und kümmert sich nicht um die anderen. Das mittlere Drittel hat vernünftige Löhne, aber fühlt sich von Abstieg bedroht. Diese Menschen schauen häufiger neidisch nach oben und mit Abscheu nach unten. Das untere Drittel verdient zu wenig und kämpft jeden Tag, um über die Runden zu kommen. Es ist höchste Zeit, unserem Grundwert Solidarität in Sachsen wieder einen neue Bedeutung zu geben. Dafür brauchen wir Räume, wo die unterschiedlichen Gruppen zusammenkommen können, anstatt sich nur mit ihresgleichen abzugeben. Deshalb schaffen wir jetzt die Grundlage für ein Netz solcher sozialen Orte in ganz Sachsen. Es gibt zahlreiche Akteure der kulturellen oder sozialen Zivilgesellschaft, die bereits in diesem Feld arbeiten. Wir wollen sie vernetzen, finanziell stärken und sie als Partner gewinnen. Dann kann das zarte Pflänzchen sozialen Zusammenhalts überall wachsen.

Das alles macht die SPD. Von den Grünen und der CDU ist das nicht zu erwarten. Es geht nun darum, das den Sächsinnen und Sachsen jederzeit und täglich deutlich zu machen.

RE: Welche besonderen Herausforderungen gibt es in Sachsen für die Landespolitik?  

Die Regierungskoalition aus CDU, Bündnisgrünen und SPD ist noch sehr jung. Während Schwarz und Rot bereits Regierungserfahrung hat, sind die Grünen Neulinge und erwarten durchaus zurecht, dass sie in der Anfangszeit etwas mehr Zugeständnisse bekommen. Das führt gerade in der aktuellen Coronakrise zu der Schwierigkeit, dass sie auf bestimmten Projekten beharren, um an Profil zu gewinnen, und dabei die aktuellen Aufgaben aus dem Blick verlieren. So waren wir im Vorfeld des nächsten Staatshaushalts mit einem frechen Entwurf des CDU-Finanzministers konfrontiert, der zu erheblichen Kürzungen im Sozialen Bereich geführt hätte. Dagegen haben wir uns mit massiver Unterstützung aus der Zivilgesellschaft erfolgreich gewehrt. Leider wurden wir dabei nicht von den Grünen unterstützt, die sich stattdessen lieber um ein Alleenprogramm für Sachsen gekümmert haben. Das war sehr aufschlussreich. Ich bin aber optimistisch, dass wir diese Kinderkrankheiten hinter uns lassen und die nächsten Jahre erfolgreich regieren können.

RE: Die Arbeit als Landtagsabgeordneter findet ja auf verschiedenen Ebenen statt – auch natürlich im Wahlkreis. Welche politischen Schwerpunkte gibt es für Sie zurzeit?

In meinem Wahlkreis gibt es für mich ganz unterschiedliche Aufgaben. Ich begegne regelmäßig Menschen, die unter der Privatisierung des kommunalen Wohnraums vor 14 Jahren noch heute massiv leiden. Sie sind heute dem Gebaren der „Vonovia“ (Immobilienkonzern mit mehr als 400.000 Wohnungen) und ihrer Aktionäre ausgeliefert. Ständige Mietsteigerungen führen zur Verdrängung unserer Familien und Großeltern. Ich vertrete diese Mieterinnen und Mieter im politischen Raum und suche nach Wegen, Wohnen in Dresden angenehm und bezahlbar zu halten. Im Landtag aber auch mit (Mieter)Vereinen.

Dresden ist auch ein renommierter Wissenschaftsstandort. Mit der Technischen Universität Dresden haben wir sogar eine Exzellenz-Universität. Dass es nach wie vor Normalität ist, dass viele Angestellte von einem befristeten Arbeitsvertrag in den nächsten wechseln, bedrückt mich sehr. Hier muss aber auch der Bund den Handlungsbedarf erkennen und endlich das Wissenschaftszeitvertragsgesetz arbeitnehmerfreundlich reformieren.

Als Dresdner Abgeordneter und SPD-Vorsitzender bin ich natürlich auch mit den Protesten von Corona-Leugnern, Pegida-Gängern und rechten Gruppen konfrontiert. Hier investiere ich viel Zeit, um die Demokratiebündnisse zu unterstützen und die Mitglieder der SPD zu motivieren, sich täglich gegen diese demokratiefeindlichen Tendenzen einzusetzen. Denn Antifaschismus machen wir schon seit 1863.

RE: Wenn man die attraktiven Innenstädte, gerade auch hier in der Region, heute erlebt und sie mit der Situation vor vielleicht 20 Jahren vergleicht, fällt ja die enorme Aufbauleistung in der Stadtentwicklung auf. Kann man diese Entwicklungen im ganzen Land, auch in ländlichen Regionen, beobachten?

AP: Die Regionen in Sachsen haben sich in den letzten 30 Jahren nicht gleichmäßig entwickelt. Es gibt neben den prosperierenden Städten und Regionen auch solche Ecken, die auch in den nächsten Jahren weiter schrumpfen werden. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Aber es gibt zumindest in den mittelgroßen Städten wie Freiberg oder Bautzen bessere Entwicklungen. Sie werden ihre Bevölkerung halten können. Die sogenannten Speckgürtel der Großstädte sind die Profiteure des Wachstums von Dresden, Leipzig und Chemnitz. Hier entsteht und wächst dann auch automatisch wieder eine bessere Infrastruktur. Denn wer schnell in die Stadt kommt, ist auch bereit, eine größere Strecke in Kauf zu nehmen. Deshalb setzt sich die SPD, vor allem mit unserem Verkehrsminister Martin Dulig für eine Stärkung und Verdichtung des Öffentlichen Personennahverkehrs und des Schienenpersonennahverkehrs ein, um die Menschen in den Großstädten besser an das Umland anzubinden – und andersherum.

RE: Wann und wie sind Sie eigentlich zur SPD gekommen?

AP: Links empfunden habe ich schon als Jugendlicher. Es brauchte aber noch etwas Zeit, bevor ich mich als junger Erwachsener klar für die SPD entschieden hatte. Dabei war wichtig, dass die damalige PDS zu radikal und die Grünen sozial blind waren und es beide in Teilen heute noch sind. Bei der SPD hat mich die grundsätzliche Welt- und Gesellschaftssicht immer beeindruckt. Keiner Herr, keiner Knecht. Gleichberechtigung von Mann und Frau und der unterschiedlichsten Lebensformen. Jeder soll die gleichen Lebens- und Aufstiegschancen haben durch lebenslange gute Bildungsangebote. Und über allem der tägliche Einsatz für unsere Demokratie und gegen Demokratiefeinde. Der hat dann auch den Ausschlag zum Eintritt in die SPD gegeben. Als mit der Landtagswahl in Sachsen 2004 die rechtsextreme NPD in das Parlament gewählt wurde, war das der berühmte Tropfen, der mein Fass zum Überlaufen brachte. Noch in derselben Nacht füllte ich online meinen Mitgliedsantrag aus.

RE: Herr Pallas, ganz herzlichen Dank für das aufschlussreiche Interview und viel Erfolg bei Ihrer politischen Arbeit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert