Dr. Dieter Attig 2010 in Lemgo

Dr. Dieter Attig 2010 in Lemgo

1. Ist unsere Stromversorgung noch sicher? Werden inzwischen nicht auch die dezentralen Gaskraftwerke durch die Subventionierung von Erneuerbaren Energien gefährdet?

Dr. Attig: Die nächsten fünf Jahre ist die Stromversorgung mit dem bisherigen System noch sicher, dann müssen neue, jederzeit verfügbare Kraftwerke gebaut werden. Da Gaskraftwerke schnell regelbar sind, haben sie grundsätzliche Vorteile in einem weiter differenzierten Versorgungssystem. Traditionelle Grundlastkraftwerke rechnen sich in Zukunft nicht mehr. Erneuerbare Energie wird in Zukunft noch billiger. Vor 5 Jahren noch waren regenerative Energien Ergänzungsangebote, inzwischen ist das anders – vor allem durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das vor 14 Jahren bei Investitionen 20 Jahre lang eine feste Rendite von 4 bis 5 Prozent ermöglichte. Gaskraftwerke haben relativ niedrige Kapitalkosten und lassen sich daher in den immer kürzer werdenden Zeiträumen, in denen die Erneuerbaren Energien nicht zur Verfügung stehen, relativ günstig einsetzen.

2. Wie werden sich die CO-2-Belastung und damit der Klimawandel entwickeln?

Dr. Attig: Gelingt es in den nächsten 10 bis 20 Jahren die Erneuerbaren Energien weiter zu nutzen, die Systeme technologisch weiterzuentwickeln, vor allem auch die Speichermöglichkeiten, dann wird die Kohleenergieerzeugung nur noch als Ergänzung fungieren. Wegen der immer kürzeren Laufzeiten wird auch weniger CO-2 ausgestoßen werden. Auch Gaskraftwerke, die noch längere Zeit benötigt werden, stoßen CO-2 aus, wenn Erdgas eingesetzt wird.
In 10 Jahren wird jedoch als wichtigste Speichermöglichkeit für Strom die „Power to gas“-Technologie wirtschaftlich werden. Hierbei wird Strom mittels Elektrolyse in synthetisches Gas Gas umgewandelt, das speicherbar ist. Die Gaskraftwerke werden dann zunehmend mit dem klimaneutralen synthetischen Gas gespeist. Diese Entwicklung muss durch massive Förderung beschleunigt werden, um den CO- 2-Ausstoß schnell zu begrenzen.

3. Ist Energie auch für kleine Einkommen in Zukunft noch bezahlbar?

Dr. Attig: Den größeren Anteil an den Energiekosten im Haushalt machen die Wärmekosten aus. Die Öl- und Gaspreise sind in der Vergangenheit deutlich stärker gestiegen als der Strompreis, ohne dass daraus ein „Armutsrisiko“ abgeleitet wurde. Der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien hebt die Strompreise gerade nicht mehr an, da die hohen Kosten aus der EEG-Umlage aus der Vergangenheit herrühren, wo die Erneuerbaren Energien noch ein Mehrfaches der fossilen Energieerzeugung kosteten. In wenigen Jahren werden die Erneuerbaren Energien sogar zu günstigeren Strompreisen führen, da sie stetig billiger werden, während Öl und Gas sich wegen der weltweit steigenden Nachfrage und stetig wachsenden Förderkosten verteuern.
Wenn die Regierung den Strompreis gerade für die kleineren Einkommen begrenzen will, dann soll sie die inzwischen völlig sinnlose Ökosteuer zurücknehmen. Auf diese Einnahme will aber der Finanzminister, der durch die steigenden Energiepreise ohnehin schon steuerlich gut bedacht wird, auch nicht verzichten. Daher spreche ich von der „Strompreislüge“.

4. Muss viel Geld in die großen Stromtrassen investiert werden, die von Nord nach Süd durch die Bundesrepublik laufen sollen.

Dr. Attig: Das muss man doch sehr hinterfragen. Es gibt dafür keine Notwendigkeit. Die Basis der regenerativen Energieversorgung ist nicht die Windkraftnutzung auf See, sondern viele Standorte an Land, sowohl mit Windkraft- wie auch Sonnennutzung – ergänzt durch Gaskraftwerke. In etwa 10 Jahren werden zudem Speicher wirtschaftlich sein, die den notwendigen Ausgleich bei unterschiedlich hohem Strombedarf abdecken können. Deshalb sollten die sogenannten Offshore-Anlagen auch nicht stärker, sondern geringer gefördert werden. Sie sind auf längere Sicht weit teurer als Onshore-Anlagen.

5. Wie lassen sich die zeitlichen Unterschiede von Regenerativer Stromerzeugung und Stromnachfrage überbrücken?

Dr. Attig: Noch mehrere Jahrzehnte werden fossile Kraftwerke, möglichst auf Gasbasis, nötig sein, um die Erzeugungslücken der Erneuerbaren zu füllen. In 5 Jahren werden die Kurzzeitspeicher und in 10 Jahren die Langzeitspeicher wirtschaftlich sein. Dann werden schrittweise fossile Kraftwerke durch Speicher ersetzt und im Jahr 2050 ist eine CO-2 – freie Energiedarbietung machbar.
6. Wird die Energiewende in Deutschland in gleichem Tempo weitergehen?

Dr. Attig: Die Energiewende ist aus wirtschaftlichen Gründen nicht aufzuhalten. Schauen wir mal auf die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung: Der Aufwand in der Energiebranche beträgt pro Jahr ca. 200 Milliarden Euro. 80 Milliarden werden für Rohstoffimporte ausgegeben. Die jetzigen 25 Prozent Energieerzeugung aus regenerativen Energien haben diesen Importanteil schon um 10 Milliarden entlastet. Bis 2050 wird der Aufwand auf ca. 400 Milliarden Euro gestiegen sein, wenn wir mit dem Fossilen Energiesystem so weiter machen wie bisher.
Bei Umstieg auf die Erneuerbaren wird sich der Aufwand in der Energiebranche bei 200 Milliarden Euro stabilisieren lassen.
Nicht zu vergessen sind die Arbeitsplätze, die bei einem dezentralen System vor allem im Handwerk entstehen. Also, die Energiewende geht weiter. Es ist allerdings die Frage, ob wir international den bisherigen Technologie- und Entwicklungsvorsprung von vier Jahren behalten oder andere Länder wie China an uns vorbeiziehen lassen. Da ist dann schon das Gesamtkonzept der Bundesregierung gefragt.

7. Welche Konsequenzen sollten aus den Chancen der Energiewende in Lemgo und in der Region gezogen werden?

Dr. Attig: Energiewende bedeutet Einsparung von Energie und Ausbau Erneuerbarer Energien. Die besonders wichtige Dämmung der Häuser wird nur langsam vorankommen, da die Bundesregierung die hierfür erforderlichen enormen Fördermittel nur ansatzweise bereitstellt.
Der ähnlich wichtige Umstieg auf die effektive Fernwärme mit gasgefeuerter Kraft-Wärme-Kopplung ist in Lemgo und in Oerlinghausen schon beispielhaft vollzogen und wird derzeit von anderen lippischen Städten intensiv verfolgt.
Rückständig ist die Region Lippe und auch ganz Nordrhein-Westfalen im Ausbau der Erneuerbaren Energien und insbesondere der Windkraft. Hier müssen die Kommunen durch Ausweisung geeigneter Flächen dafür sorgen, dass der Anschluss an andere Bundesländer gefunden wird. Andere Bundesländer weisen teilweise ein Vielfaches an Erneuerbarer Energieerzeugung auf.
8. Ist es nicht widersprüchlich, wenn Teile der Bevölkerung und die Kommunalpolitik im Prinzip zwar für die Energiewende sind, aber weitere Windräder nicht auf dem eigenen Stadtgebiet haben möchten?

Dr. Attig: Der Bau von großen Windrädern stellt zweifellos einen großen Eingriff in die Natur und die Landschaft dar. Jeder Betroffene wehrt sich natürlich dagegen in gleicher Weise wie beim Bau von Fernstraßen und Schienentrassen. Die Beispiele verschiedener Bundesländer zeigen jedoch, dass Windanlagen bei entsprechender Politik durch finanzielle Beteiligung und Einräumung von Mitspracherechten bei den vorliegenden gesetzlichen Rahmenbedingungen durchsetzbar sind.
Das Problem ist, dass das Windrad im Umfeld sichtbar ist, während die Überschwemmung Europas durch Afrikaner, deren Lebensraum wir durch die Erderwärmung vernichtet haben, als Problem Italiens und speziell der Insel Lampedusa betrachtet wird.

Herr Dr. Attig, vielen Dank für das Gespräch. Wir freuen uns auf die Diskussion mit Ihnen in der Veranstaltung der Lippischen Gesellschaft für Politik und Zeitgeschichte am 20. März in Lemgo. (Hier weitere Informationen dazu.)

Interview vom 13.02.2014

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