„Zu Zeiten Willy Brandts war die Welt in zwei Blöcke eingeteilt. Wenn es Krisen gab, war die Welt noch überschaubar. Heute wären wir froh, wenn es noch überschaubare Krisen gäbe. Statt dessen haben wir verwirrende Krisenlandschaften.“ Achim Post, der Außenpolitiker, begann mit diesem Grundgedanken vor einem gespannt zuhörenden Publikum im Lemgoer AWO-Begegnungszentrum „KastanienHaus“ seinen „Gang“ durch die internationalen Krisenherde. Eingeladen hatte die „Lippische Gesellschaft für Politik und Zeitgeschichte“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Politik am Samstagvormittag“. Vorsitzender Hermann Haack hatte die Veranstaltung mit der Erinnerung an die weltverändernde „Ostpolitik“ von Willy Brandt und Egon Bahr eröffnet.
Er stellte Achim Post, heute Mitglied des außenpolitischen Ausschusses des Bundestages, als profunden Kenner internationaler Politik vor, der an vielen internationalen Verhandlungen direkt beteiligt war und seine politische Karriere bei Hans-Jürgen Wischnewski begonnen hatte, der vor allem für seine Vermittlungen in heiklen Missionen, darunter beim Geiseldrama von Mogadischu, bekannt geworden war. Der habe ihm deutlich gemacht, in internationalen Konflikten brauche man einen „zweiten Blick“, man müsse die Perspektive wechseln können, nur so könne man komplizierte Zusammenhänge erkennen.
Achim Post beschrieb als erstes die „Krisenlandschaft“ Europa mit den aktuellen problematischen Entwicklungen, z.B. der Verschiebung des politischen Spektrums in vielen Ländern nach rechts. Nur knapp seien rechte nationalistische Mehrheiten in den Niederlanden und in Frankreich verhindert worden. Es sei im übrigen überhaupt nicht gut, wenn EU-Reformvorschläge des neuen Präsidenten Macron in Deutschland sofort abgelehnt würden. Achim Post beschrieb die fatale ökonomische Situation, dass Deutschland mit seinen hohen Exportüberschüssen in dem starren Euro-System die anderen Länder in die Defizite drücke. Wenn dann noch Spardiktate durchgesetzt würden, könne die europäische Gesamtwirtschaft nicht auf die Beine kommen und Deutschland schade sich ökonomisch und politisch am Ende selbst damit. „Wenn nur Deutschland stark ist, dann haben wir ein großes Problem“, fasste Achim Post zusammen.
„Ich halte nichts von Exportreduktion, ich will die ökonomische Kraft in Deutschland nicht ändern, ich will aber, dass wir im Inland mehr investieren, z.B. in Ausbildung und Verkehr“, forderte er. Man könne nicht die anderen Länder ständig unter die Wasseroberfläche drücken, sondern müsse die Ökonomie so gestalten, dass alle etwas davon haben. Deshalb müsse es einen „Marshallplan“ für Europa geben, damit die Menschen in allen Ländern durch einen wirtschaftlichen Aufschwung eine Perspektive sehen. Wenn für Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit, die in manchen europäischen Ländern bei mehr als 50 Prozent liegt, gerade einmal 6 Milliarden Euro aufgebracht würden, aber für die sogenannte Bankenrettung mehr als 200 Mrd. Euro, dann sei das ein krasses Missverhältnis. In der Diskussion wurde insbesondere die „unflexible“ Haltung Finanzminister Schäubles für viele der Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht.
Achim Post plädierte für den Wieder-Aufbau enger Beziehungen zu Frankreich, beschrieb aber auch die unbedingt notwendige wirtschaftliche Kooperation mit Italien. Auch dabei brauche es mehr Flexibilität, nur dann könne eine stabile Regierung gewählt werden. Statt unsinniger Spardiktate müsse es ein gemeinsames europäisches Investitionsprogramm geben. Ein europäischer Finanzminister, wie von Präsident Macron vorgeschlagen, könne ein solches Programm politisch umsetzen. „Europa muss effizienter und schneller werden“, forderte Achim Post.
„Wir brauchen Europa, und zwar ein einiges und weltpolitisch starkes“, betonte er immer wieder. Diese Überzeugung verdeutlichte er mit kurzen Eindrücken von der amerikanischen Trump-Politik, „einem Hort der Unsicherheit und des Risikos“, aber auch mit der Beschreibung der immer größer werdenden Macht Chinas. China steigere ganz systematisch seine internationale ökonomische Machtposition. Beispielhaft erwähnte er „das größte Globalisierungsprojekt der letzten 50 Jahre“ – den Ausbau der „Seidenstraße“, also der Handelswege Chinas nach Westen. Die chinesische Führung hole dabei die beteiligten Staaten zu Sonderkonferenzen an einen Tisch und gewinne dabei an Einfluss und Macht.
Achim Post beschrieb schließlich die Rolle Rußlands, „des machtpolitischen Gewinners des Jahre 2016“. Rußland sei zurück auf der Weltbühne. Die russische Regierung sei ein schwieriger Partner. Noch mehr gelte das für das Erdogan-Regime in der Türkei. Erdogan sei inzwischen von der EU so weit entfernt „wie der Nordpol vom Südpol“. Man müsse Erdogan unmissverständlich klar machen, dass sich Deutschland nicht erpressen lasse. Die Bundeswehr-Soldaten für den Syrien-Konflikt könnten z.B. auch in einem anderen Land stationiert werden. Trotz klarer Differenzen solle jedoch versucht werden, etwa durch Jugendaustauschprogramme, die Kontakte zu den Menschen dieser Länder nicht abreißen zu lassen.
Die „Politik am Samstagvormittag“-Gäste waren sich einig, selten so verständlich internationale Zusammenhänge beschrieben bekommen zu haben. Vieles wurde auch dadurch besonders verständlich, weil Achim Post viele persönliche Erlebnisse aus internationalen Gesprächen und Verhandlungen, aber auch Erinnerungen an Begegnungen mit den Menschen in anderen Ländern einfließen lassen konnte. Zum Beispiel beschrieb er die jüngeren Menschen des Iran als äußerst wissbegierig, lebensfreudig und offen – wie er selbst bei Partys erlebt habe, die sich nicht von unseren unterschieden. Wer wisse im übrigen schon von der Größe des Landes und seinem Potential oder auch nur davon, dass an den Universitäten mehr Frauen als Männer studierten.
Die Dankesworte von Hermann Haack wurden am Ende der Veranstaltung mit herzlichem Applaus unterstützt. Die nächste Veranstaltung von „Politik am Samstagvormittag“ findet am 2. September statt. Dann geht es um das Thema „Luther und die Juden – was wurde in der Region daraus?“.