Der politische Kommentar

Reden wir über Europa – die deutsche Ratspräsidentschaft 2020

Hermann Haack

Wenn über die Krise der Europäischen Union geredet wird, beschwören alle Politiker, die Medienmacher, die Verbände etc. die gemeinsamen Europäischen Werte, als da sind: gutes Regieren, Rechtssicherheit, Achtung der Menschenrechte , Meinungsfreiheit etc. Alles zigmal in Konventionen, Verfassungen usw. aufgeschrieben. Jeweils eine Europäische Besinnungsstunde. Es fehlen nur noch die Kerzen.

Was hat die Lippische Gesellschaft bisher dazu erfahren? Nehmen wir die Erträge der letzten Reisen nach Malta, in die Euroregion Saar-Lor-Lux und nach Bautzen, Görlitz und Dresden. die hautnah gemachten Erfahrungen vor Ort in Form von Gesprächen.

Zum Thema Meinungsfreiheit:

Auf Malta 2018, damals hochaktuell, der internationale Aufruhr wegen der Ermordung der maltesischen investigativen Journalistin Daphne Coruna Galizia. Großer Aufschrei der Politik, der Medien und allem, was dazu gehört. Ergebnis vor Ort bis heute: Stillstand der Ermittlungen genau an dem Punkt, an dem klar ist, dass es die verbrecherische Clique – Regierung genannt – ist, die den Dreck am Stecken hat. Die Journalistin als Opfer des korrupten Netzwerks der Regierung auf Malta und all dem, was sich „man kennt sich“ nennt.

Der dortige Blogger Manuel Delia von „Occupy Justice“ klärte uns damals mittels einer eindrucksvollen Power Präsentation auf. Sein Kernsatz: Es geht nicht um den Auftragskiller, sondern eigentlich um die Hintermänner, um das System, um die, die formal demokratisch an der Macht sind.  Deren Köpfe – damals – der Labour-Ministerpräsident Muskat, sein Stabschef Schembri und der Allrounder-Geschäftsmann Fenech, und alle laufen sie bis heute frei rum. Zum Glück, dass alle Beweise bei Interpol und nicht in Malta liegen.

Der Prozess gegen die Täter ist angelaufen, stockt allerdings.

Hinnehmen musste die europäische Öffentlichkeit ebenso die Ermordung des slowakischen Journalistenpaares, Jan Kuciak und Martina Kusnezowa, beide ebenfalls Opfer ihrer Recherche zur organisierten Kriminalität und Korruption auf dem Balkan, speziell der Slowakei.  Da läuft ebenfalls der Prozess, wobei man zuschauen kann, wie die Regierung und ihre Kohorte versuchen, sich der Schlinge um den Hals zu entledigen. Immer das gleiche „Hase und Igel-Spiel“.

Aus der EU-Administration null Reaktion auf die zunehmende Gefährdung der Journalisten in der EU. Es sind doch diese, die ihr Leben riskieren für das, was als Europäische Werte gilt, die Meinungsfreiheit, die Transparenz, die Rechtstaatlichkeit.

Kommentare auf schmalen Lippen ersetzen nicht Handeln! Eigentlich wäre das die Stunde des Europäischen Parlaments, die EU-Administration vor sich herzutreiben.

Es ist nämlich die Zivilgesellschaft, die den Kopf hinhält, nicht die Administration! Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist der weltweite Rechercheverbund aus Journalisten und Journalistinnen, die in unterschiedlichen Medien arbeitend sich thematisch organisieren und investigativen Journalismus betreiben. Sie decken die Unzulänglichkeiten demokratischer Strukturen, das Nichteinhalten von Versprechungen seitens Regierungen auf, lassen Meinungsfreiheit sich entfalten.

Zum Thema Korruption:

2019 anlässlich eines Besuches am Europäischen Rechnungshof war das Thema die neu geschaffene Institution einer „Europäischen Staatsanwaltschaft“. Diese hat einen unmittelbaren Zugriff auf die nationalen Administrationen, kann also eigenständig vor Ort ermitteln. Nur die dazugehörigen Verträge werden ausgerechnet von den Ländern nicht verifiziert, die generell unter Verdacht stehen.

Korruption – das bleibt ein Dauerbrenner in der EU. Man kann auch sagen, die systematische Veruntreuung von Geldern europäischer Steuerzahler findet weiter hinter dem Vorhang statt, vor dem Vorhang inszeniert man das europäische Pathos. Wie lange soll das gut gehen?

Zum Thema Asyl/Staatsbürgerschaft/Migration:

Vor kurzem in der LZ zu lesen, in dieser Woche steht es in der Wochenzeitung DIE ZEIT. Nationale Staatsbürgerschaften sind zu kaufen, also Pässe, und man kann damit verbunden die europäische Staatsbürgerschaft erwerben. Malta, Zypern haben das als Geschäftsmodell im Zusammenhang mit Immobilienkauf entwickelt. Andere Länder wie Griechenland, Belgien, Irland folgen. Der Betrag für ein solches schmutzige Geschäft von bis zu einer Million Euro und mehr. Selbstverständlich verschwinden die Beträge in den Taschen korrupter Beamter.

Bedient wird durch dieses Modell die halbseidene Welt der Waffen- und Drogenhändler, dazu gesellen sich Oligarchen dieser Welt, vornehmlich aus dem ehemaligen Ostblock und den menschenverachtenden Ölstaaten, dazu kommt die Entourage der Welt der Diktatoren. Natürlich darf auch die Finanzwelt dieses Privileg für seine Finanzgeschäfte nutzen. Banken geben laut DIE ZEIT Empfehlungen. Ein blühendes Geschäft auf Gegenseitigkeit.

Der Gegensatz dazu: Auf Malta besuchte die LGPZ-Reisegruppe ein Seenotrettungsschiff der „Sea Watch“, ließ sich die Lage der Migranten im Mittelmeer erläutern. Anstatt zu versuchen, europaweite Regelungen zur Migrantenfrage zu suchen, Jagd auf Flüchtlingsboote.

In der EU gelten zweierlei Menschenrechte. Restriktiv gegenüber den Flüchtlingen, die über das Mittelmeer nach Europa wollen und dabei ihr Leben riskieren. Und dann die anderen, die sich das mit einem goldenen Handschlag erkaufen, was den Ärmsten verwehrt wird!

Härte angesagt gegenüber den Flüchtlingen, gewährleitet von der Organisation „Frontex“, einer Einrichtung der EU, 2016 zum Schutz der Außengrenze der EU im Mittelmeer gegründet. Augenzwinkernde Nachsicht gegenüber denen, die sich und ihr dubioses Einkommen im rechtssicheren Raum der EU schützen wollen. Deren Kinder gehen u.a. auf Eliteschulen einer vergoldeten Zukunft entgegen, ihre anderen Altersgenossen ertrinken vielleicht im Mittelmeer, wenn nicht, dann leben sie verarmt ohne sichere Zukunft in Lagern wie auf z.B. Lesbos oder auf den Kanaren.

Dennoch Licht am Horizont?

Im Rahmen der Neuverhandlung der Haushalte für die kommenden Jahre soll gelten, wer Grundrechte der EU-Charta nicht einhält, bekommt weniger Geld aus dem Strukturfond. Ungarn und Polen sagen dazu „Nein“. Holland und die skandinavischen Staaten sagen „Ja“. Es wird dabei auf das EU-Parlament ankommen, sitzt doch die FIS von Orban in der Fraktion der EVP, der konservativen Europäischen Volkspartei des EU-Parlamentes. Ebenso die PIS aus Polen.  Manfred Weber, der Vorsitzende EVP- Fraktion, laviert, besteht doch seit Jahren die Forderung von Fraktionsmitgliedern der EVP, der FIS (Ungarn) und der PIS (Polen) den Status der Mitgliedschaft innerhalb der EVP zu entziehen. Geschieht das, dann verliert allerdings die EVP die Stellung als stärkste Fraktion. Darauf spekulieren Orban und Kaczyński, dass eben nichts passiert.

Vor diesem Hintergrund dieses Konfliktes bahnt sich eine institutionelle Veränderung an. Kernländer der Gründergeneration der EU überlegen, die anstehenden Konflikte dahin zu lösen, eine EU der zwei Geschwindigkeiten zu gründen, also ein Kerneuropa soll es sein. Gelten soll der Nachweis der Einhaltung der Grundrechte im Alltag. Man darf gespannt sein.

Kauf der Pässe. Die neue Präsidentin der EU, Ursula von der Leyen, hat einen Bericht angefordert, auf dessen Grundlage entschieden werden soll, alte Pässe erneut zu prüfen, Kriterien für die Vergabe und damit deren Geltung im EU-Bereich neu zu definieren. Einen Kauf in Verbindung mit dem Erwerb nicht genutzter Immobilen soll dann ausgeschlossen sein. Die Einrichtung einer diesbezüglichen EU-Behörde ist geplant.

All das steht  im Hintergrund der deutschen Präsidentschaft, Kanzlerin Merkel soll es richten.  Wird sie es?

H.H. 30.11.20

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