Kultur und Geschichte machen Weimar attraktiv
Weimar hat pro Jahr mehr als 4,2 Millionen Übernachtungsgäste. Sie alle wollen Interessantes aus Kultur und Geschichte erfahren. Anfang Oktober waren 25 Reisende aus Lippe dabei. Sie nahmen an der Themenfahrt der Lippischen Gesellschaft für Politik und Zeitgeschichte ( LGPZ ) teil, die unter dem Motto stand: „Demokratie leben – Weimarer Erinnerungskultur“. Die Reisegruppe erregte häufig Aufmerksamkeit, da sie im Bus der Profifußballer von Rot-Weiß Essen durch die Stadt fuhr. Drei Tage in Weimar mit vielfältigen Programmpunkten und ein Tag in Erfurt waren „anstrengend und anregend“, hieß es übereinstimmend.
Angesichts der aktuellen politischen Veränderungen gerade auch in Thüringen gibt es bestimmt noch viel über die Erlebnisse und Erkenntnisse auf dieser Reise nachzudenken und zu diskutieren. „Das wird in LGPZ-Mitgliedertreffen oder auch hier im Internet geschehen können“, erklärt Vorstandsmitglied Rolf Eickmeier.
Aber zunächst einmal sei im Folgenden auf die vielen Anregungen dieser Themenfahrt verwiesen.
LGPZ in Weimar auf den Spuren deutscher Geschichte
Weimar, eine der geschichtsträchtigsten Städte in Deutschland, war das Ziel der „LGPZ-Themenfahrt 2024“. Weimar war im 18. Jahrhundert das Zentrum humanistischer Überzeugungen mit herausragenden Künstlern und klassischen Werken – mit Goethe als Leitfigur. Weimar war 1919 der Geburtsort der ersten demokratischen Verfassung in Deutschland. In Weimar entstanden in den 20er Jahren grundlegend neue Ideen, Arbeitsweisen und Formen in Architektur und Design, das „Bauhaus“. Kein Wunder, dass die nationalsozialistische Führung die Stadt vereinnahmte. Sie machte Weimar mit Unterstützung vieler Einwohner zur besonderen „Gauhauptstadt“. Schließlich wurde dort das Konzentrationslager Buchenwald errichtet – mit grenzenloser Unmenschlichkeit und ca. 56 000 Getöteten. Nach der Unfreiheit des DDR-Systems konnten durch die deutsche Einheit neue Hoffnungen entstehen. Doch was ist jetzt aktuell zu beobachten? In Thüringen gewinnt die AfD bei den Landtagswahlen die Mehrheit. Manche sind darüber erschrocken, manche reiben sich verwundert die Augen. Die politische Situation ist unübersichtlich. Geht von Thüringen eine historische Veränderung des demokratischen Systems aus?
Die Reisegruppe der Lippischen Gesellschaft für Politik und Zeitgeschichte wollte vor Ort die Möglichkeit nutzen, die historischen Hintergründe und Entwicklungslinien kennenzulernen, die Demokratie ermöglichen, aber immer wieder auch gefährden. Sie wollte sehen, wie das historische Erbe in Weimar sichtbar gemacht wird und welche aktuellen Schlussfolgerungen gezogen werden können. Durch das Kennenlernen der Landeshauptstadt Erfurt ließen sich die Fragen und Anregungen ergänzen. Die einzelnen Programmpunkte und die sehr kompetenten Gesprächspartner boten in den vier Tagen viele Denkanstöße.
Auf den Spuren des Weimarer „Lebemanns“ Johann Wolfgang von Goethe
Bei der Stadtführung am ersten Tag wurde deutlich, welch große Bedeutung Johann Wolfgang v. Goethe ab 1775 für Weimar hatte. Er war der Intellektuelle, der erfolgreiche Schriftsteller und leitete 26 Jahre das Hoftheater, er war ein aktiver Reform-Politiker im Herzogtum von Sachsen-Weimar-Eisenach, auch der Lehrer und „Kumpel“ für den noch jugendlichen Erbprinzen Carl August und ein „Lebemann“, der besonders viele Frauen faszinierte und viele Frauen immer auch ihn. Andere Geistesgrößen jener Zeit zog es nach Weimar. Wieland, Herder, Schiller, Goethe und andere wurden regelmäßig von der Regentin, Herzogin Anna-Amalia, zu engagierten Gesprächsrunden eingeladen. Diese aufgeschlossene, an Kultur und Bildung interssierte Herzogin richtete in Weimar eine Bibliothek ein mit einer damals ungewöhnlichen öffentlichen Ausleihe, die sich in der Folgezeit zu weltberühmter Größe und Bedeutung entwickelte.
Viele Stationen dieses ungewöhnlichen und kreativen Lebens wurden am ersten Tag in der Stadtführung vorgestellt. Das „klassische Weimar“ ist UNESCO-Weltkulturerbe. Im „Theater im Gewölbe“ließ sich die Reisegruppe am Abend eines erlebnisreichen Freitags mit einigem Vergnügen von Goethe-Parodien bestens unterhalten.
Das traditionelle Abschlussessen der Themenfahrt fand am Samstagabend im Restaurant „Der weiße Schwan“ statt, in dem auch schon Goethe mit vielen seiner Gäste gut gegessen und oft viel getrunken hatte. „Es war zwar etwas eng und sehr warm, aber das Essen war hervorragend. Man fühlte sich fast wie in der Goethe-Zeit“, meinte ein LGPZ-Mitglied. Mit mehr als 450 Jahren ist das Gasthaus „Zum weißen Schwan“ eines der geschichtsträchtigsten Gasthäuser Europas. Seine ursprüngliche äußerliche Gestalt hat das Gasthaus fast unverändert bis heute behalten.
Weimar ist natürlich viel mehr als Goethe ….
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… auch das Bauhaus-Museum
Deshalb konnte sich die LGPZ-Reisegruppe im Bauhaus-Museum die Besonderheiten der in den 1920er Jahren entstehenden neuartigen Ideen zur Entwicklung und Gestaltung von funktionalen Gebäuden, von Einrichtungsgegenständen, ja sogar von Industrieeinrichtungen in einer Führung erklären lassen und viele Exponate ansehen oder ausprobieren. Viele der Konzepte haben weit über die damalige Zeit hinaus, auch bis in die heutige Zeit praktische Bedeutung behalten. Mit diesem Ursprung werden zum Beispiel „klassische“ schlichte Stühle und Sessel, Möbelkonstruktionen, Lampen oder Kücheneinrichtungen entwickelt und hergestellt- besonders auch die eindrücklichen Architekturentwürfe haben internationale Bedeutung erlangt.
Im 3. Reich wurden auch exponierte Vertreter des Bauhauses ausgegrenzt und von Verfolgung bedroht. Diese politischen Zusammenhänge wurden differenziert erläutert.
Dabei machte sich in der Reisegruppe ungläubiges Erschrecken breit, als in dem Vortrag die Verbindung zu aktuellen politischen Entwicklungen mit der Vermutung hergestellt wurde, dass möglicherweise in vier Jahren in Thüringen ein AfD-Ministerpräsident regieren würde und dass die AfD-Mehrheiten bei den Wahlen vor allem durch den hohen Stimmanteil der AfD bei jungen Wählerinnen und Wählern zustande kommen würden. Eine solche Mehrheit würde kulturelle Einrichtungen bestimmt nach Kräften einschränken und behindern.
Solche Entwicklungen dürften nicht hingenommen werden, waren sich alle einig. Nur, wie erreicht man junge Leute mit politischer Bildungsarbeit ? Eine Frage, die auch die LGPZ schon seit langem umtreibt.
… auch das Konzentrationslager Buchenwald
Bei kaltem Wind und Regen fand oberhalb Weimars eine Führung auf dem Gelände der Gedenkstätte Buchenwald statt. Das Wetter war eine in gewisser Weise passende Herausforderung für die Beteiligten. Der junge Mann, der die Gruppe über das Gelände führte, konnte das KZ-System nachvollziehbar beschreiben mit den ausgeklügelten Verfahren der Entmenschlichung, der nach Gruppeneinteilung abgestuften Quälerei und Folterungen und dem massenhaften Töten.
Eins war ihm wichtig: Er konnte überzeugend beschreiben, dass die Einwohner Weimars und der Region in ihrem Alltag beobachten konnten, was dort geschah. Es begann zum Beispiel damit, dass die Häftlinge auf dem Weimarer Bahnhof ankamen, ein Stück durch die Stadt und dann den Berg hinauf getrieben wurden. Es gab Verpflegungs- und Materiallieferungen aus der Stadt und auch die technisch angeblich hoch entwickelten Verbrennungsöfen wurden von einer Firma in der Region geliefert.
Diese Alltagsbeteiligungen der Einwohner Weimars konnten an vielen Stellen deutlich gemacht werden. Nach der Befreiung des Lagers durch amerikanische Truppen wurden zudem viele Einwohner durch das Lager geführt, um mit eigenen Augen die Überreste des Terrors anzusehen. Dennoch versuchten – wie überall in Deutschland – viele ihre Kenntnis, ihr Stillschweigen oder ihre Beteiligung zu verdrängen und zu leugnen.
… auch das „Haus der Weimarer Republik“
Die erste demokratische Verfassung in Deutschland wurde nach dem Ende des 1. Weltkriegs und dem Ende der Monarchie im Nationaltheater in Weimar ausgearbeitet – wohl auch, weil man an die Humanitätsgrundsätze der „Weimarer Klassik“ anknüpfen wollte, aber auch, weil zu der Zeit in Berlin noch Unruhen und Unsicherheit herrschten. Im Januar 1919 gab es Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung. Es galt dabei das Verhältniswahlrecht. Frauen erhielten zum ersten Mal das aktive und passive Wahlrecht.
Das „Haus der Weimarer Republik“, das von einem gemeinnützigen Verein getragen wird, enstand mitten in der Stadt direkt gegenüber dem Nationaltheater und wurde ab 2013 ausgebaut und 2023 mit einem Erweiterungsbau vollendet. In den Ausstellungs- und Präsentationsräumen konnte sich die LGPZ-Reisegruppe in einer Führung fundiert über Entstehungszeit und die demokratischen Elemente der Verfassung informieren lassen. Dabei spielte immer auch die Ausnutzung demokratischer Rechte bei der nationalsozialistischen Machtergreifung eine Rolle. Der Bezug zu aktuellen Entwicklungen warf viele Fragen auf.
… auch die Europäische Jugendbildungs-und Begegnungsstätte
Im Stadtzentrum Weimars befinden sich die acht historischen Gebäude der Europäischen Jugendbildungs- und Begegnungsstätte. Diese Bildungseinrichtung setzt in ihren Veranstaltungen und Tagungen darauf, die traditionsreiche und geschichtsträchtige Stadt „wirklich als Lernort zu nutzen“ – und dies insbesondere auch mit internationalen Jugendgruppen.
Um darüber mehr zu erfahren, hat sich eine LGPZ-Delegation mit Steve Eichler getroffen, der als Bildungsreferent für die Planung und den Aufbau europäischer Kontakte und Projekte verantwortlich ist.
Steve Eichler kam zu dem Treffen gerade noch rechtzeitig von einem Italien-Aufenthalt nach Weimar zurück und stellte sehr engagiert und überzeugend die Aktivitäten der EJBW vor. Dieser Gedankenaustausch soll fortgesetzt werden. In Kürze wird hier auf dieser Plattform ein Interview mit Steve Eichler erscheinen.
… auch die Weimarer Stadtverwaltung
Die Besuchergruppe aus Lippe hatte Gelegenheit mit Frau Dr. Kolb, der ersten Beigeordneten der Stadt, im Sitzungssaal des Rathauses zu sprechen. Frau Dr. Kolb informierte über einige grundsätzliche Rahmenbedingungen für Politik und Verwaltung in Weimar.
Der Wiederaufbau und die Unterhaltung der historischen Bauten sowie die Unterhaltung exponierter Kulturstätten und -angebote kann die Stadt allenfalls zu einem Teil finanzieren. Der Eigenanteil der Stadt an der Finanzierung dieser Einrichtungen betrage ungefähr ein Drittel der Kosten. Bund und Land seien jeweils für unterschiedlich hohe Anteile verantwortlich. Manche Einrichtungen seien auch in der Form von Stiftungen organisiert, um die Beteiligungen zu bündeln und zielgerichtet einzusetzen.
Nach der Kommunalwahl im Mai dieses Jahres sei die politische Zusammensetzung des Stadtrats weiterhin kompliziert mit nicht weniger als sechs Fraktionen, natürlich auch mit der AfD, die sich gerade noch einmal in zwei Fraktionen gespalten habe. Die Basis für die Mehrheiten bei der Unterstützung des parteilosen Bürgermeisters, der in der Direktwahl vor kurzem wiedergewählt wurde, stellten CDU und die Fraktion vom „Weimarwerk-Bürgerbündnis“, einer wirtschaftsliberalen Gruppierung.
Probleme mit der AfD habe es bisher in den Ratsentscheidungen kaum gegeben. Die Ratsmitglieder stimmten der großen Linie in der Regel zu, brächten kommunale Einzelanträge ein, die aber zunächst nicht ideologisch geprägt seien.
Der Einfluss der AfD in den Wohnquartieren der Außenbezirke und im ländlichen Umfeld der Stadt sei allerdings deutlich höher als in der Innenstadt.
Die Stadt wolle weltoffen und tolerant sein. Dafür gebe es – von der Verwaltung unterstützt – vielfältiges Engagement und unterschiedliche Initiativen. Schließlich sei der Tourismus mit mehr als 4 Millionen Gästen pro Jahr der Hauptwirtschaftsfaktor.
Auch Erfurt ist eine Reise wert
Der letzte Programmpunkt der Themenreise der LGPZ war eine sehr interessante und fachkundige Stadtführung in Erfurt. Erfurt hat eine hervorragend restaurierte Altstadt mit dem Fluss Gera und der berühmten Krämerbrücke, auf der sich Wohn- und vor allem kleine Geschäftshäuser drängeln Viele kleine Geschäfte und eine oft historische Gastronomie machen den Reiz der Altstadt aus. Die Geschichte des Synagogengebäudes ist Sinnbild für die schon jahrhundertealte Verfolgung und Vernichtung jüdischer Einwohner. Zentraler Ankunftsort war der Erfurter Dom – auf dem Domplatz beim Besuch der LGPZ mit dem Trubel des „Oktoberfestes“. Erfurt ist ein sehr empfehlenswertes touristisches Ziel. Aber auch dort konnten die Erfolge der AfD bei der Landtagswahl und die Bilder der jüngsten AfD-Inszenierung im Thüringer Landtag nicht ganz aus den Köpfen verschwinden.
Einige Fotoeindrücke aus dem umfangreichen Besuchsprogramm in Weimar und Erfurt
Schiller als Flüchtling in Weimar:
„nur das Verbot, Schriftsteller* zu seynmich aus wirtembergischen Diensten getrieben hat …“ Schiller an Schwan, 8, 12.. 1782, Schillerhaus
*“Und mein geflügelt Werkzeug ist das Wort …“ in Thüringen, Schillerhaus