Die Jahresversammlung 2018 der Lippischen Gesellschaft für Politik und Zeitgeschichte fand im Ziegeleimuseum Lage statt, weil dabei die Ausstellung „Die 68er in der Provinz“ von Hans-Gerd Schmidt selbst vorgestellt und erläutert werden konnte. In einem Interview berichtet Hans-Gerd Schmidt über die Entstehung seines umfangreichen Buches und der Ausstellung wie auch über die regionale Bedeutung der Ideen der 68er.
Frage 1: Herr Schmidt, Sie haben eine umfangreiche Dokumentation herausgegeben zu dem Titel „Die 68er in der Provinz“. Daraus ist 50 Jahre nach dem ereignisreichen Jahr 1968 eine Ausstellung im Ziegeleimuseum Lage entstanden. Was hat Sie zu diesen umfangreichen Arbeiten motiviert?
Nach der Berufszeit als Lehrer am Stadtgymnasium und Paritätischem Sozialseminar in Detmold (Deutsch, Geschichte, Medienpädagogik) forschte ich zu der mich immer schon interessierenden Frage: Welche Bedeutung hat die Bewegung für Jugendliche der Region gehabt?
Zwar gab es schon früh Untersuchungen zu dieser Bewegung in den universitären Metropolen, jedoch kaum dazu, welche Rolle außerhalb dieser Zentren die Bewegung in einer eher ländlichen Region wie Lippe gespielt hatte.
Meine Recherchen ermöglichten mit 190 ein- bis zweistündigen Interviews und einer Fülle verschiedenen Quellenmaterials eine fundierte Darstellung. Diese aufschlussreiche Quellenlage führte dann zur Entscheidung, die Ergebnisse auch über das Medium „Ausstellung“ zu präsentieren.
Frage 2: In der historischen Erinnerung sind die großen Demonstrationen jener Zeit in den universitären Metropolen, in Berlin und Frankfurt, aber auch in Paris oder in den USA in Erinnerung. Wodurch unterschieden sich die Bewegungen und Ereignisse hier auf dem Lande davon?
Bedeutende Unterschiede bestanden darin, dass „Theoriearbeit“ anfänglich vorwiegend im universitären Bereich erfolgte und Ergebnisse impulsgebend von Studierenden in ihre Region transferiert und experimentierend erprobt wurden. Eine Besonderheit für diesen Raum boten dabei die Landkommunen als Wohn- und Arbeitsgemeinschaften mit der Möglichkeit, spezielle Arbeits- und Lebensformen zu erproben. Durch sie wurde Provinz stellenweise so etwas wie Laboratorium und Werkstatt .
Frage 3: Die 68er-Aufbruchstimmung und-Bewegung zeigte sich natürlich in ganz unterschiedlichen Verhaltensweisen und Aktionen. Kann man in unserer ländlichen Region einige Schwerpunktbereiche erkennen?
Als Schwerpunkte erwiesen sich die Gründung Autonomer Jugendzentren sowie eine Vielzahl von Amateur-Beat- Bands, das Engagement in der Anti-AKW-Bewegung und die Entstehung einer neuen Frauenbewegung. Dieses gesellschaftspolitische und kulturelle Engagement trug zur nachhaltigen Förderung der Entprovinzialisierung der Region bei.
Frage 4: Wie entwickelten sich die 68er-Initiativen in den Folgejahren weiter? Haben sie breiteren gesellschaftlichen Einfluss gewonnen?
Ob 68er-Initiativen breiteren gesellschaftlichen Einfluss gewannen, war nicht eindeutig zu ermitteln. Ihre regionale Bedeutung lag vor allem darin, dass sie die Entwicklung dieser Bewegung in der Provinz förderten und, so fundiert, teils in weiterentwickelter Form, bis heute fortwirken.
Frage 5: Die spannende Frage: Was ist von den 68ern geblieben?
Geblieben sind:
a) Formen der Lebensberatung und Therapie:
Beratungsangebote und therapeutisch psychologische Behandlung unter Einbeziehung verschiedener in Indien kennengelernter Therapieformen.
b) Über 68er-Zeiten hinaus gesellschaftspolitisches Engagement:
Neue Frauenbewegung, Anti-AKW-Bewegung, Kampf gegen umweltzerstörende Straßenbauprojekte.
c) Alternative Geschäfte und Unternehmen,
- z.B. Fortführung eines der Linken Buchläden aus 68er-Zeiten.
- Zum Beispiel auch ein Geschäft für den Verkauf von Spezialfahrrädern für Kurier- und Transportdienste zur Entlastung des Stadtverkehrs.
- Aber auch eine Firma für den weltweiten Vertrieb von Musikequipment (ursprünglicher Beginn war der Verstärkerbau)
- Firma für die Erstellung kompletter Recyclinghäuser aus entsprechenden Abbruchmaterialien
- Weiterentwicklung einzelner Lebensmittelkooperativen zu Bioläden und zur Form eines eigentümergeführten Biosupermarktes
d) Weiterführung pädagogisch und therapeutisch orientierter Medienarbeit Das erfolgte mittels Fotografie, Film und Theater: Filmproduktion für die Kinder-, Jugend-und Elternarbeit sowie Fotoprojekte zur integrativen Arbeit mit behinderten und nichtbehinderten Menschen.
Frage 6: Zurück zu Ihrer Arbeit: Was sind die Grundlagen für Buch und Ausstellung?
Dazu gehörten 190 ein- bis zweistündige Interviews mit 68er- Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, Fotografien, Zeitungen verschiedener Jugendorganisationen, Presseberichte, Protokolle, Abschlussarbeit (Fachhochschule), Flugblätter, Presseartikel, Akten, Briefe, Bilder von 68er-Kunstschaffenden, Filme.
Frage 7: Wie lange haben Sie daran gearbeitet?
Für das Buch ca. 5 Jahre; für die Ausstellung ca.2Jahre
Frage 8: Wie ist die Resonanz auf die Ausstellung im Ziegeleimuseum?
Die Resonanz dieser Ausstellung, so die Museumsleitung, ist „sehr gut“.